Ihm selber wohnte viel von denen inne, die er zur Bildung seiner „antiamerikanischen Allianz“ gerne und ausgiebig besuchte. Chávez, das war nicht nur jemand der sich gerne selber reden hörte. Der Personenkult gehörte zum Herrschaftsinstrument des „neuen Sozialismus“, der bei genauerem Hinsehen nur eine lateinamerikanische Variante des staatssozialistischen Herrschaftsmodus des vergangenen Jahrhunderts war. Umverteilungsprojekte zur Sicherung der Gefolgschaften von Teilen der Lohnabhängigen waren solchen Modellen immer inhärent.
Es mag gute Gründe geben dieser rigiden Durchsetzung vermeintlich sozialer Interessen etwas abzugewinnen. Offensichtlich kehren solche Prozesse jedoch nur Machtszenarien um, ohne Machtprozesse selbst aufzulösen. Sie gewähren Sozialschwachen auch nicht bedingungslose Rechte, sondern verlangen Loyalität vor einer Instanz, die im Zweifel Garant für die individuelle Zukunft und Perspektive ist. Der Entäußerung der Selbstbestimmung durch den Verkauf der eigenen Arbeitskraft an kapitalistische Ausbeutungsinstanzen, weicht die Entäußerung politischer Freiheit. Ob solche Projekte nachholender lateinamerikanischer Linksentwicklung wirklich als Referenzmodelle für ein gesellschaftliches Umwandlungsprojekt in Europa taugen kann praktisch ausgeschlossen werden. Europa hat die staatsautoritäre linke Verteilungslektion bereits hinter sich.
Dies bedenkend fällt es schwer zu Glauben, dass die Parteiführung der Partei Die Linke einen Nachruf auf Chávez in die Welt setzt, der keine Stilblüte linksgestrickter Hierarchieverehrung auslässt. Von der Nennung aller Titel des Verstorbenen bis zur unkritisch übernommenen Selbstbezeichnung als „Commandante“ übt sich der Text in devoter Anbiederung an einen Staatsmann, der sich selber als den Freund der letzten Diktatoren dieses Erdballs sah. Getreu dem Motto, der Feind meines Feindes ist mein Freund, suchen Kipping & Co. post mortem den Schulterschluss mit einem, der die Despoten dieser Welt zu einer Handlungsgemeinschaft gegen ein System aufrufen wollte, welches Chávez selber nie verstanden hat.
Seine Angriffe gegen die Vereinigten Staaten konnten daher nie den Dunstkreis reiner Polemik überschreiten und Perspektiven jenseits des maroden Systems der warenproduzierenden Moderne bieten. Schlimmer noch, politische Unterdrückung für den Fall zu rechtfertigen, dass einem Teil der Bevölkerung soziale Wohltaten oder eher noch Almosen auf Zeit garantiert wurden, appellierte an die niedrigsten Entwicklungsstufen von Gewaltherrschaft im Dienste eines linken Leviathans. Genau einer solchen Figur mit einem Nachruf zu huldigen, stellt ein gewolltes oder ungewolltes Fraternisieren mit den rigiden Vorstellungswelten des Verstorbenen dar und öffnet einen erschreckenden Blick in die geheimsten Zwangsvorstellungen vieler linker Parteisoldaten für den Tag der eigenen Machtergreifung.
Erbärmlich und jämmerlich ist daher ein devoter Nachruf auf einen Mann, bei dem eine Trennschärfe zu undemokratischen Machtergreifungs- und Machtausübungsszenarien nicht mehr zu erkennen war. Da dieser Nachruf wohl kaum von einem Schreibautomaten verantwortet wurde, kann der Führung dieser Partei nach dieser „Selbstoffenbarung“ nur der politische Hirntod attestiert werden. Wer Chávez ernsthaft als Vision des Sozialismus des 21. Jahrhunderts offeriert, der hat jegliche Zukunft als gestaltende politische Kraft verloren.
(jpsb)
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